Nell-Breuning-Symposium

13. Rödermärker Hochschultag

am 06.06.2011

Thema
„Über die Umverteilung hinaus. Perspektiven der Gerechtigkeitstheorie.“
Referent
Dr. Titus Stahl von der Goethe-Universität Frankfurt
Dr. Titus Stahl

Am 6.6.2011 fand der 13. Rödermärker Hochschultag, wie immer in produktiver Zusammenarbeit mit der Stadt Rödermark, statt. Das Thema dieses Abends war „Über die Umverteilung hinaus. Perspektiven der Gerechtigkeitstheorie“ sein. Dazu war Herr Dr. Titus Stahl von der Goethe-Universität Frankfurt geladen.

Dr. Stahl begann seine differenzierten Ausführungen mit einem kurzen Rückblick auf die Geschichte des Gerechtigkeitsdiskurses. Während von der Antike bis in die Neuzeit Gerechtigkeit primär als Bedingung der Legitimität gesellschaftlichen Zwangs gesehen wurde, geht es heute (insbesondere im Anschluss an John Rawls) vor allem um soziale Gerechtigkeit, nämlich um die Verteilung von Rechten und Reichtum. Dr. Stahl machte dagegen geltend, dass diese Einschränkung auf die Verteilung wichtige gesellschaftliche Ungerechtigkeiten außer Acht lasse. Das betreffe erstens die gesellschaftlichen Beziehungen, die unserem Zusammenleben zugrunde liegen, insbesondere die Beziehungen der Anerkennung, die zwischen Menschen und Gruppen bestehen. Zweitens liege den herrschenden Vorstellungen der Gerechtigkeit ein Bild sozialen Handelns zugrunde, das die kooperative Struktur unseres sozialen Zusammenlebens – des wechselseitigen Aufeinander-Angewiesen-Seins – nicht berücksichtige und daher sozialen Ausschluss aus der Kooperation nicht angemessen als Ungerechtigkeit begreifen könne. Drittens werde aus der öffentlichen Diskussion um Gerechtigkeit die Frage weitgehend ausgeblendet, ob die Macht, die einzelne Personen, Unternehmen oder der Staat haben, ihnen auch gerechterweise zukomme.

In seinem Gegenvorschlag konnte Dr. Stahl überzeugend darlegen, dass Gerechtigkeit eben nicht nur eine materielle oder rechtliche Dimension hat, sondern von modernen Individuen auch daran gemessen wird, wie Ihnen Achtung, Wertschätzung, Liebe oder Anerkennung zuteil wird. Denn diese Werte sind sowohl die Voraussetzung der Selbstachtung als auch der Freiheit des einzelnen Menschen. Wechselseitige Anerkennung müsse deshalb in den gegebenen Sozialbeziehungen verankert werden, Machtbeziehungen müssten zugleich auch Anerkennungsbeziehungen sein. Gerechtigkeit, die auf eine echte Kooperation hinauslaufen müsse, bedinge die Anerkennung der Bedürfnisse, Wünsche und Interessen anderer Personen. Richtig verstanden bestehe soziale Gerechtigkeit darin, allen Menschen gleichermaßen zu ermöglichen, sich in ihrer Teilnahme an der Gesellschaft als frei zu erfahren.

In der anschließenden, vornehmlich von Schülern geführten, engagierten Diskussion ging es um Fragen der Konkretisierung und Umsetzung der Anerkennungstheorie. Die Resonanz zeigte, dass auch dieser Hochschultag als gelungen bezeichnet werden darf.

Philipp Wolf


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