Nell-Breuning-Symposium

6. Nell-Breuning-Symposium

am 24.02 und 25.02.2012 in der Kulturhalle Rödermark

Thema des 6. Symposiums war „Medien, Kultur, Gesellschaft. Medieninnovation als Chance“. Dazu konnten die Veranstalter zwölf renommierte Medienwissenschaftler und Medienwissenschaftlerinnen in der Kulturhalle von Rödermark begrüßen, um an zwei Tagen über aktuelle und zukünftige Entwicklungen unserer Mediengesellschaft zu referieren und diskutieren.

Zum Auftakt der Veranstaltung präsentierte die Europa-Songgruppe der NBS ihre neuen und mitreißenden Songs, darunter eine Version von „China Girl“. Nach Grußworten von Bürgermeister Kern und Stadtverordnetenvorsteher Jörg Rotter erinnerte Schulleiter Jochen Zeller an die langjährige Geschichte des Nell-Breuning-Symposiums, das im Abstand von drei Jahren von der Nell-Breuning-Schule und der Stadt Rödermark veranstaltet wird.

In seinem Einführungsvortrag versuchte Prof. Dr. Wolf von der Nell-Breuning-Schule sowohl historisch als auch systematisch der Frage nachzugehen, “Was Medien sind und warum wir über Medien nachdenken sollten“, so der Titel seines Vortrages. Dabei unterschied er am Beispiel eines einfachen ‚Dosentelephones’, des Buches und eines Smartphones zwischen Chancen und Risiken, die Medien von der Schrift über den Buchdruck bis hin zu mobil-digitalen Medienstationen bieten. In seinem Fazit strich er nochmals heraus, dass Medien unseren kulturellen, sozialen und pädagogischen Erfahrungshorizont immens erweitern können. Er betonte aber auch, dass sie kein Ersatz sind und keine Alternative darstellen für reales, leibliches und eigeninitiatives Handeln mit anderen in einer vielsinnigen Umwelt.

Dr. Müller-Lietzkow, Professor für Medienorganisation und Mediensysteme an der Universität Paderborn, führte in die faszinierende Welt avancierter Computerspiele, so genannter „Serious Games“, ein. Anhand von Spielen wie Politworld oder Urbanlife2060, die er zusammen mit seinen Studierenden entwickelt hat, zeigte er anschaulich vor allem das didaktische Potential von Spielen auf, mit denen sich politische Institutionen oder ökologische Städte der Zukunft sehr plastisch erfahrbar machen lassen.

Prof. Dr. Rainer Leschke (Uni Siegen) beschrieb die jeweilige historische Reaktion etablierter Kulturträger auf die Einführung neuer Medien, die durch Ablehnung und ‚Entrüstung’ geprägt war. Da man es in Zukunft aber mit postkonventionellen, vernetzten (oder virtuellen) Mediensystemen zu tun habe, in denen es keine festen Beziehung mehr zwischen sozialen Trägern und den aktuellen Medien gebe, erübrigten sich alle Entrüstungen und Widerstände.

Die historische Abfolge von ‚Medien-Milieus’ und deren Transformation im 20. und 21. Jahrhundert war auch der Gegenstand von Prof. Dr. Irmela Schneiders Referat (welches aufgrund einer Erkrankung der Referentin) von dem Schüler Kevin Massoth vorgetragen wurde. Die Präsentation konnte sehr gut zeigen, dass Medien, von der Radiophonie über die Television bis hin zum ‚Social Networking’, in einem Wechselspiel mit den sozial Milieus stehen, die das jeweilige Mediensystem prägen und von dem sie wiederum geprägt werden.

Der Vortrag von Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz (Leipzig) war ebenfalls historisch angelegt, konzentrierte sich aber ganz auf Kino und Fernsehen und dabei insbesondere auf den Übergang von der analogen zur digitalen Technik und 3D. Prof. Steinmetz konnte auch anhand neuester Statistiken darstellen, dass dieses neue ‚Dispositiv’ ähnliche kulturelle und ökonomischen Dimensionen besitzt wie der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm vor etwa achtzig Jahren.

Den zweiten Tag leitete Dr. Christian Stegbauer, Privatdozent an der Uni Frankfurt, mit einem sehr prägnanten Vortrag über Raum und Enträumlichung im Internet ein. Dabei trat er der These entgegen, dass sich der physische Raum (als soziales Interaktionsfeld) durch das Internet verflüchtige. Zwar werde das Internet bedeutsamer, insofern es neue Dimensionen der Erreichbarkeit und räumlicher Nähe schaffe, andererseits blieben wir auf herkömmliche Raum- Zeitverhältnisse verwiesen. Der Sozialraum setze auch weiterhin den physischen Raum voraus. Internetkonferenzen ersetzten keine realen Meetings in wirklichen Räumen.

Prof. Dr. Angela Krewani (Uni Marburg) machte deutlich, dass die Verschmelzung von Internet, Kino und Fernsehen nicht, wie von einigen Kulturpessimisten befürchtet, zu einem Fortschreiten passiven Medienkonsums führen werde. Vielmehr werde sich die zukünftige Medienpraxis durch eine aktive Mitgestaltung auszeichnen und durch vielerlei zusätzliche Kommunikationsplattformen Ergänzung finden.

Auch Prof. Dr. Biebers Beitrag war daran gelegen einen grassierenden Medienpessimismus zu relativieren ohne selbst in allzu große Euphorie zu verfallen. In der Auseinandersetzung mit den empirischen Forschungen der Amerikaner Sherry Turkle und Cass Sunstein erläuterte der Politikwissenschaftler von der Uni Duisburg-Essen, dass von einer um sich greifenden Selbstfixierung und narzisstischen Selbstbeschäftigung in so genannten „Echokammern“ (auch in Gruppen) nicht durchgängig gesprochen werden könne. Dem stünden vielfältige neue Formen der „Online-Kooperation“ gegenüber, wie sie auch in politischen Bewegungen von „occupy“ bis hin zur Piratenpartei ihren Ausdruck gefunden haben.

Zu den Höhepunkten der Veranstaltung gehörte zweifellos der medial auch selbst sehr ansprechende Vortrag von Prof. Gundolf S. Freyermuth von der Internationalen Filmschule Köln. In seiner historisch weit ausholenden Präsentation unterschied er zwischen den Epochen einer (in der Renaissance einsetzenden ) mechanischen Vernetzung, der industriellen und der aktuellen digitalen Vernetzung, bei denen es zunächst um eine Überbrückung, dann um eine Eliminierung der räumlichen Distanz und heute, mit dem Einsatz neuer „foundational technologies“ in audio-visuellen Medien, um eine möglichkeitsoffene Manipulation von Raum und Zeit gehe. Am Beispiel der Technik des „morphings“ konnte er diese neuartige Transformation des Räumlichen filmisch plastisch illustrieren.

Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Norbert Meder lotete das Potential aktueller und zukünftiger Medienbildung vor dem Hintergrund des Humboldtschen Bildungsideals aus. Zur Bildung in virtuellen Welten könne vor allem die Sprachtheorie des Pädagogen beitragen.

Prof. Dr. Dagmar Hoffmans Vortrag befasste sich mit der eminent wichtigen Frage nach der Zukunft des Wissens und der Wissensaneignung in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Mediatisierung. Dabei differenzierte die Referentin zwischen verschiedenen Formen des Wissens um sich dann der diffizilen Rolle der Digitalen Medien in der Vermittlung von Wissen zuzuwenden. Aufgrund der schieren Quantität, Flüchtigkeit und mangelnden qualitativen Differenzierung der Angebote komme es aber nicht nur zu Gewissheiten, sondern (wie etwa in der Gesundheitskommunikation) auch zu allerlei Verunsicherungen. In der Konsequenz bedürfe es eines besonderen Wissensmanagements innerhalb der neuen Medien.

Einen faszinierenden Einblick in die Entstehung und Genese des Computerspiels als Unternehmensplanspiel in der Marktwirtschaft der 50er Jahre gab Prof. Dr. Rolf Nohr von der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Das implizite strategische Ziel des Einsatzes dieser frühen „Serious Games“ war nicht zuletzt ein unternehmerisches Selbst, das im Sinne einer kybernetischen Rationalität zu handeln bereit sein sollte. Neben der Wirtschaft sollte das Computerspiel dann auch im Wissenschaftsbetrieb mit dem Anspruch eingesetzt werden Handlungen zu optimieren und quantitativ besser bewerten zu können.

Den Abschluss bildete der engagierte Vortrag von Prof. Dr. Berbeli Wanning von der Uni Siegen, in dem sie ihr innovatives Protagonize!-Erzählkonzept vorstellte. Dieser literaturdidaktische Ansatz dürfte wesentlich dazu beitragen (auch im Zuge zunehmenden Medienkonsums) die Lese- und Schreibkompetenz von Schülern und Schülerinnen zu fördern. Das Konzept gibt diesen die Möglichkeit gerade mithilfe der neuen Medien, bekannte Texte aufzuschließen, den Erzählstrang selbst abzuändern und Alternativen zu entwickeln. Dies dürfte die Leselust und Motivation neu beflügeln.

Die Veranstaltung wurde hervorragend ergänzt durch die Auftritte dreier Tutorien der zwölften Jahrgangsstufe. Die Schüler boten Ausschnitte aus ihren Präsentationen dar, die in der Profilwoche Ende Januar ausgearbeitet worden waren. Entsprechend des Ansatzes der Nell-Breuning-Schule, Schule und Hochschule miteinander zu vermitteln, griffen die Schülerinnen und Schüler sehr kompetent wesentlichen Aspekte medialer Darstellungen auf, um sie multimedial und unterhaltsam für die Öffentlichkeit aufzubereiten. Dabei ging es um Wissenschaftliche Kommunikation (innerhalb der Teilchenphysik), politische Kommunikation (im amerikanischen Wahlkampf), aber auch um öffentliche Diffamierung (vor allem von Frauen)in den Medien.

Vertreter der Nell-Breuning-Schule und der Stadt Rödermark zogen ein positives Resümee des zweitägigen Symposiums, das mit Sponsorengeldern der Sparkasse Dieburg und des Energieversorgers HSE finanziert wurde. Leider entsprachen die Besucherzahlen nicht ganz den Erwartungen.

Philipp Wolf


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