„Rosetta — Wie wir auf einem Kometen landeten“
19. Hochschultag am Montag, 16. November 2015, 18:30 Uhr, Kulturhalle Rödermark / Ober-Roden
mit Dr. Paolo Ferri, Leiter der Rosetta-Mission (ESA)
Mit einem persönlichen Erlebnisbericht über die Landung auf dem Kometen 67P/Tschurjumov-Gerassimenko faszinierte der Leiter der Rosetta-Mission, Dr. Paolo Ferri von der Europäischen Weltraum Organisation ESA, die zahlreichen Besucher in der bis auf den letzten Platz besetzten Kulturhalle.
Rosetta ist die aktuelle und spektakuläre Mission der ESA, mit der zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt ein Rendezvous mit einem Kometen gelungen ist, bei dem auch ein Landemodul auf der Oberfläche des Kometenkerns abgesetzt wurde.
Zur Eröffnung des Abends interpretierte Frau Christine Döbert (Schulleitung) die Forschungsziele der Rosetta-Mission, insbesondere die Suche nach dem Ursprung des Lebens auf der Erde, im literarisch-philosophischen Rahmen des Faustischen Strebens nach absoluter Erkenntnis.
Für die Stadt Rödermark zeigte sich Bürgermeister Roland Kern sehr stolz auf den hohen Besuch und würdigte die Pionierleistung des Teams um Dr. Ferri, das mit der Rosetta-Mission ein neues Kapitel in der Geschichte der Raumfahrt geschrieben hat.
Nach Dr. Ferris Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Rödermark widmete ihm Frau Dr. Maurella Carbone (FB Italienisch) den in englischer und italienischer Sprache geschriebenen schuleigenen „Rosetta-Song“, mit dem die Schulband unter der Leitung von Frau Juliane Wurth und Jens Dörr (FB Musik) musikalisch auf die Thematik des Abend einstimmte.
In seinem auch didaktisch sehr ansprechenden multimedialen Vortrag präsentierte Dr. Ferri zum Teil exklusives authentisches Bild- und Videomaterial zu den wichtigsten Stationen der Rosetta-Mission, die von der Vorbereitung bis zum Ziel einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahre umfasst.
Das Zielobjekt, der Komet 67P/Tschurjumov-Gerasimenko („Tschuri“), wurde am 6. August 2014 erreicht. Dabei legte die am 2. März 2004 mit einer Ariane 5 in Kourou gestartete Muttersonde Rosetta eine Strecke von ca. 6,5 Milliarden km zurück. Am 12. November 2014 setzte der Orbiter Rosetta seine Tochtersonde, den Lander Philae, nach einem äußerst komplizierten Landemanöver auf der Oberfläche des Kometen ab. Die internationale Live-Berichterstattung und der Medienhype erinnerten an die erste Mondlandung 1969.
„Die operationellen Herausforderungen für den über Entfernungen von mehreren hundert Millionen km ferngesteuerten Flug um einen unbekannten, dynamisch aktiven, kleinen Himmelskörper wie einen Kometenkern, sind enorm — die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die diese Mission verspricht, könnten bahnbrechend sein, u.a. für die Frage, wie das Leben auf die Erde kam.“ (Dr. Ferri)
Bei einer Entfernung von ca. 500 Millionen km von der Erde benötigten die Funksignale für die Datenübertragung und die Steuerung von Rosetta etwa 28 Minuten für die einfache Strecke (Lichtgeschwindigkeit ca. 300.000 km/s).
Kometenkerne enthalten die weitgehend unveränderte „Urmaterie“ aus der Kinderstube unseres Sonnensystems vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren. Mit den bisherigen astrochemischen Materialanalysen der Rosetta-Mission konnten insgesamt 16 verschiedene organische Moleküle nachgewiesen werden, darunter Schlüsselmoleküle für die Synthese von Aminosäuren, die als fundamentale Bausteine des uns bekannten Lebens gelten, das auf der organischen Kohlenstoffchemie beruht.
Die Ergebnisse stützen die Vermutung, dass Aminosäuren ursprünglich durch Kometen auf die Erde gelangt sein könnten. In einem günstigen Milieu, z. B. in den Tiefen der Ozeane könnte zunächst primitives Leben entstanden sein, aus dem sich im Verlauf der Evolution die Vielfalt der Arten und mit dem Homo sapiens auch intelligentes Leben entwickelt hat.
Auf diese Weise könnte auch auf anderen Planeten Leben entstanden sein. Im Labor ist es der Wissenschaft bislang noch nicht gelungen, aus unbelebter Materie belebte Materie herzustellen.
Die Vermutung führender Forscher, dass Kometen die Hauptquelle für das irdische Wasser in den Ozeanen sein könnten, erscheint nach der Strukturanalyse des Wasserdampfes auf Tschuri dagegen sehr unwahrscheinlich. Damit rücken Asteroiden als mögliche Quelle wieder stärker in den Fokus.
Wenige Tage vor dem Hochschultag überraschte Dr. Ferri die Medien mit der Aussicht auf einen spektakulären Showdown. Zum geplanten Ende der Mission im September 2016 soll nach Möglichkeit auch der Orbiter Rosetta auf dem Kometenkern gelandet werden.
Für den Inhalt der Präsentation und für seine sympathische, sehr gut verständliche und humorvolle Art des Vortrages bekam Dr. Ferri lang anhaltenden Applaus seines Publikums.
Nach einem weiteren, eigenen Wissenschaftssong der Schulband über NEOs nutze das Publikum die Gelegenheit für viele Fragen.
Neben den wissenschaftlichen Aspekten, ging Dr. Ferri auch auf die Kosten der Rosetta-Mission ein, die sich aber im Vergleich zur Finanzkrise eher bescheiden ausnehmen.
Als wichtigstes Ergebnis der Rosetta-Mission nannte er die Heranbildung eines Teams von Wissenschaftlern und Technikern, die bei der Planung und im Verlauf der Mission viele neue Herausforderungen meistern mussten. Die dabei gewonnen Erfahrungen seien von unschätzbarem Wert für künftige Missionen.
In seinem Schlusswort nannte Dr. Dietmar Herdt, der für den FB Physik und das Profil Naturphilosophie den Hochschultag organisiert hatte, die Rosetta-Mission ein überzeugendes Beispiel für die gemeinsame Finanzierung großer Aufgaben und die erfolgreiche internationale Kooperation von mehreren tausend Wissenschaftlern und Ingenieuren aus allen europäischen Ländern. Dies in einer Zeit, in der die europäische Solidarität auf dem Prüfstand stehe.
Zum Referenten:
Dr. Paolo Ferri studierte Theoretische Physik an der Universität von Pavia (Italien). Seit 1984 arbeitet er im Europäischen Weltraum Operationszentrum (ESOC) in Darmstadt, zunächst als Wissenschaftler, dann im Bereich Missionsbetrieb für mehrere wissenschaftliche Missionen.
An der Rosetta-Mission arbeitet er seit 19 Jahren als Operationsleiter bzw. Flugdirektor. Seit 2013 leitet er die Hauptabteilung des Missionsbetriebs und ist verantwortlich für die Steuerung aller unbemannten Missionen der ESA.
Mit dem Vortrag von Dr. Ferri wurde die Reihe naturwissenschaftlicher und naturphilosophischer Hochschultage fortgesetzt.
Das Thema knüpfte an die Thematik des 7. Nell-Breuning-Symposiums „Kosmos und Mensch: Weltbilder im 21. Jahrhundert“ an, das im Herbst vergangenen Jahres mit Vorträgen von renommierten Astrophysikern, Kosmologen, Evolutions- und Wissenschaftsphilosophen stattgefunden hat, unter ihnen Prof. Dr. Andreas Burkert, ein Experte für die Abwehr von NEOs (Near Earth Objects, wie z. B. Kometen und Asteroiden). Wie bereits bei seinem früheren Vortrag auf dem 17. Hochschultag kam er zu der Einschätzung, dass Kometen und Asteroiden mittel- bis längerfristig die größte extraterrestrische Gefahr für das Leben bzw. die Zivilisation auf unserem Heimatplaneten darstellen (s. Archiv).
Kometen und Asteroiden spannen damit einen weiten thematischen Bogen vom möglichen Ursprung des Lebens auf der Erde bis zu dessen möglicher Vernichtung durch den Einschlag größerer Objekte.
Dr. Dietmar Herdt, FB Physik und Profil Naturphilosophie an der Nell-Breuning-Schule