11. Rödermärker Hochschultag
am 21. Juni 2010 Kulturhalle Rödermark
- Thema
- „Was bedeutet Ewigkeit? - Wissenschaftliche Aspekte eines Menschheitstraums“
- Referent
- Prof. Markolf H. Niemz, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Medizinische Fakultät Mannheim)
Bericht
Am 21. Juni fand der 11. Rödermärker Hochschultag mit Prof. Markolf H. Niemz zum Thema „Was bedeutet Ewigkeit? – Wissenschaftliche Aspekte eines Menschheitstraums“ statt.
In einem bewegenden Vortrag versuchte Prof. Niemz Erkenntnisse aus der Relativitätstheorie und der Sterbeforschung mit Erfahrungen und Einsichten aus Christentum und Buddhismus zu verbinden und die alten philosophischen Fragen nach Körper und Seele, Ewigkeit und Tod neu zu stellen. Der Physiker betonte gleich zu Beginn, dass es ihm nicht darum gehe zu überzeugen, denn er könne keine definitiven Beweise liefern. Aber auch Physiker müssten glauben und er wünsche sich jedenfalls, dass seine Zuhörer nachdenklich nach Hause gehen. Als untypischer Wissenschaftler glaube er zunächst einmal alles; nur wenn er etwas widerlegen könne, schließe er es auch aus. Mochten einzelne kritische Zuhörer mit leiser Skepsis reagiert haben, zu intensiver Reflexion und Selbstbesinnung hat der Vortrag gewiss angeregt.
Niemz widmete sich nacheinander den Kategorien von Raum und Zeit, Ewigkeit und Lichtgeschwindigkeit und den metaphysischen Instanzen der Seele, des Ich, unserem Sein sowie den empirischen Berichten zu Nahtoderfahrungen. Im Grenzfall einer Relativbewegung mit Lichtgeschwindigkeit schrumpfen, so Niemz, alle räumlichen und zeitlichen Distanzen auf den Wert null. Wenn man nun Ewigkeit als einen Zustand der Distanzlosigkeit fasse, dann existiere sie also im Licht. Absolutes Wissen sei nun ebenfalls als zeitlich distanzlos, absolute Liebe als räumlich distanzlos, als ein Zustand absoluter Nähe, zu beschreiben. Wäre es möglich, so sein Gedankenexperiment, im Universum auf allen Sternen riesige Hohlspiegel aufzustellen, könnte darin sich auch alles Wissen aller Zeiten widerspiegeln. Folglich könne man das Licht als einen gigantischen Speicher aller Liebe und allen Wissens begreifen.
Der entscheidende Punkt in Niemz' Ausführungen war, dass er diese physikalisch-metaphysische Beschreibung des Lichts mit der Phänomenologie der Nahtoderfahrung verknüpfte, um auf in der Tat verblüffende Analogien hinzuweisen. Dabei machten die Betroffenen eine außerkörperliche Erfahrung, bewegten sich außerordentlich schnell durch einen Tunnel mit einem hellen Licht an dessen Ende, hielten eine Art Lebensrückschau und entwickelten ein verändertes Gefühl für Raum und Zeit. Dies könne mit der Schulmedizin, die diese Phänomene psychologisch, physiologisch oder pharmakologisch zu deuten versuche, nicht erklärt werden, weil viele Betroffene während ihres Herzstillstands etwas erlebten, was sich tatsächlich zugetragen habe. Falls unsere Seele beim Sterben Lichtgeschwindigkeit erreiche, könne sie mit Leichtigkeit riesige Entfernungen überwinden und ein ganzes Menschenleben auf den Bruchteil einer Sekunde komprimieren. Damit lasse sich auch das so genannte Tunnelerlebnis erklären. Denn bei einer Fast-Lichtgeschwindigkeit trete der „Searchlight-Effekt“ auf, d.h. bei derart hohen Geschwindigkeiten werde das Umgebungslicht gebündelt und wie bei einem Scheinwerfer wahrgenommen.
Niemz schließt nun daraus, dass die Seele nach dem Tod in einem Zustand jenseits von Zeit und Raum, räumlicher und zeitlicher Distanzlosigkeit, d. h. Ewigkeit, aufgehoben sein kann. Dies müsse zugleich ein Zustand der Ich-Auflösung, All-Einheit oder auch Vollkommenheit sein. Die Seele besitze keine Masse, sei immateriell und könne auch ohne das Ich existieren. Gleichwohl und gerade deshalb sei sie für uns das Wichtigste; in ihr bewahre sich, was „ich jemals liebe und weiß“.
Niemz beschloss seinen Vortrag mit einer Reihe von Fragen, die sich gegen den Einwand richteten, die Ähnlichkeiten zwischen Relativitätstheorie, Licht und Nahtoderfahrung seien Zufall. Die Fragen blieben offen, aber man muss Prof. Niemz in jedem Fall konzedieren, dass die Analogien zu verblüffend sind, um sie mit leichter Hand abzutun.
Der Hochschultag folgte dem Grundanliegen der Nell-Breuning-Schule, fachliche Grenzen zu überwinden, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften in einen Dialog zu bringen und nicht zuletzt auch Schülern und den Bürgern unserer Stadt interessante Denkanstöße zu geben. Dies ist einmal mehr gelungen, wie die angeregte Diskussion im Anschluss an den außergewöhnlichen Vortrag zeigte.
Prof. Dr. Markolf H. Niemz ist Physiker und Professor für Medizintechnik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Medizinische Fakultät Mannheim). Seine Forschungen zur Lasermedizin wurden 1995 von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften mit dem Karl-Freudenberg-Preis ausgezeichnet. Er ist der Autor von populärwissenschaftlichen Büchern wie Lucy mit c, Lucy im Licht und Lucys Vermächtnis und ein gefragter Redner.
Philipp Wolf